Mein Name ist Carina. Mussie ist seit Januar 2014 in Deutschland.
Von der Erstaufnahmeeinrichtung Friedland wurde er nach
Hannover verteilt. Kennengelernt haben wir uns im Mai 2015.
Zu dem Zeitpunkt habe ich angefangen mich ehrenamtlich im
Nachbarschaftskreis Hannover-Mitte zu engagieren. Der NK Mitte
unterstützt Geflüchtete z. B. beim Spracherwerb, bei Behördenbesuchen
und anderen Terminen, veranstaltet Freizeitaktivitäten
wie Kochen oder Grillen usw. Der Nachbarschaftskreis Mitte engagierte
sich damals schon in der Unterkunft, in der auch Mussie
untergebracht war. Kennengelernt haben wir uns über andere
Ehrenamtliche, die ihm und anderen aus der Unterkunft Sprachunterricht gegeben haben. Seitdem treffen wir uns fast jede Woche.
Wenn es zeitlich nicht passt, haben wir aber natürlich telefonisch
oder über WhatsApp Kontakt.
Ein großes Problem war damals die lange Dauer seines Asylverfahrens.
Mussie stand sehr unter Druck, da sein Aufenthaltsstatus
und damit die Bleibeperspektive lange unsicher waren.
Außerdem hatte er währenddessen z. B. auch kein Anrecht auf
einen Integrationskurs. Wir haben gemeinsam mehrmals Kontakt
zum BAMF aufgenommen, Auskünfte zu bekommen war sehr
schwierig, aber letztendlich hat alles geklappt und nach mehr als
zwei Jahren wurde er endlich als Flüchtling in Deutschland anerkannt
(Februar 2016). Den Tag, an dem Brief kam, werden wir
beide wahrscheinlich nie vergessen, so glücklich waren wir darüber.
Es war Freitag, zur Feier des Tages sind wir Essen gegangen
und haben das ganze Wochenende zusammen verbracht.
Mussie hat, seit er in Hannover ist, am ehrenamtlichen Deutschunterricht teilgenommen, außerdem Sprachkurse von seinen
Asylbewerberleistungen selbst finanziert und natürlich Zuhause
eigenständig geübt. Auf diese Weise hat er es geschafft noch
während seines laufenden Asylverfahrens so gut Deutsch zu lernen,
dass er an der VHS einen Vorbereitungskurs für den Hauptschulabschluss
anfangen konnte. Bei der VHS waren wir ebenfalls
gemeinsam (Dezember 2015) und haben uns beraten lassen. Im
Sommer 2017 hat er den Hauptschulabschluss gemacht.
Nach Erhalt der Anerkennung (Februar 2016) hatte er viele Termine
und auch viel Papierkram zu erledigen. Die Beantragung
der Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde, Anmeldung
bei der Krankenkasse, Anmeldung beim Jobcenter, da er Schüler
war und kein eigenes Geld verdient hat sowie Beantragung eines
Wohnberechtigungsscheins. Bei allem habe ich ihn unterstützt
und begleitet.
Mit Erhalt der Aufenthaltserlaubnis dürfen Geflüchtete aus der
Unterkunft in eine eigene Wohnung umziehen. Eine Wohnung
in Hannover zu finden, ist jedoch sehr schwierig. Wir haben viele
Wohnungen gemeinsam besichtigt und dabei leider auch rassistische
Erfahrungen gemacht. Es hat etwa acht Monate gedauert,
bis er endlich eine Zusage zu einer Wohnung bekommen hat
(Oktober 2016). Seine Vermieterin ist über einen Zeitungsartikel
in der HAZ auf den Nachbarschaftskreis Mitte aufmerksam geworden
und hat uns aufgrund des Artikels eine freie Wohnung
angeboten.
Mussies großer Traum ist es, Straßenbahnfahrer zu werden.
Für die Ausbildung braucht man allerdings einen Führerschein.
Sein eritreischer Führerschein ist in Deutschland nicht gültig und
kann auch nicht anerkannt werden, weshalb das Projekt „Führerschein“
nun als nächstes ansteht.
In den zweieinhalb Jahren haben wir aber nicht nur Behörden
besucht und uns mit Formularen rumgeschlagen, sondern auch
viele Gespräche geführt, gemeinsam gekocht (bzw. er kocht, ich
esse nur), die Kultur des anderen kennengelernt, Filme geschaut,
gemeinsam geweint und gelacht, Feste gefeiert, sind schwimmen
gewesen, bei Wind und Wetter Rad gefahren… Wir sind zu sehr
guten Freunden geworden, können mittlerweile über alles, auch
schwierige Themen, reden, und kennen uns nun so gut, dass wir
uns oft auch ohne Worte verstehen.
Rückblickend kann ich über mein bisheriges ehrenamtliches Engagement
in der Flüchtlingshilfe sagen, dass es viele bereichernde
Begegnungen und Erlebnisse gab, ich dort viele tolle Leute
kennengelernt und Freunde wie z. B. Mussie gefunden habe, die
ich nicht mehr missen möchte. Und es ist gut zu wissen, dass das
auf Gegenseitigkeit beruht, es den anderen auch so geht. ;-)
Carina und Mussie